Kinder lieben es, zu raufen und zu rangeln und dabei ihre Kräfte zu messen. Erwachsene sehen dies nicht immer gerne, da dabei nicht selten Tränen fließen. Doch geschieht das Kräfte messen unter Aufsicht und vor allem unter Einhaltung gewisser Regeln, so hat das „Kämpfen“ einen großen erzieherischen Mehrwert: Die Kinder lernen aufeinander Rücksicht zu nehmen, freundlich und respektvoll miteinander umzugehen und, ganz wichtig, Durchhaltevermögen zu beweisen. Das bayerische Kultusministerium hat diesen positiven Effekt erkannt und in den neuen Lehrplan „LehrplanPLUS“, der seit diesem Schuljahr in den Klassen eins und zwei bereits umgesetzt wird, mitaufgenommen. Die Grundschule Niederscheyern ist nun an zwei Projekttagen im Januar 2015 auf dieses wichtige Thema in Kooperation mit der Judoabteilung des FC Schweitenkirchen intensiv eingegangen. Mit viel Feingefühl, einer ordentlichen Portion Spaß und ganz viel Know How standen insgesamt fünf Trainer auf der Matte, um alle fünfzehn Klassen der Schule eine Einführung in den „sanften Weg“, was Judo wörtlich übersetzt bedeutet, zu geben. Auch Viola Wächter, die erst wenige Tage zuvor mit ihrem dritten Platz bei den Judo World Cup African Open in Tunis wieder auf sich aufmerksam gemacht hatte, war mit dabei. Das Trainerteam legte einen besonderen Fokus auf die so genannten Judowerte: „Judowerte haben einen hohen Stellenwert im täglichen Trainingsalltag: Nur mit gelebter Hilfsbereitschaft, aufrichtiger Freundschaft, ehrlicher Wertschätzung und einer Prise Mut können wir unseren Sport betreiben“, erklärt Franz Dausch, Ex-Europameister von 1977 und Judotrainer mit Leib und Seele. „Diese eigentlichen ‚Lebenswerte‘ sind die Grundlage für ein faires Miteinander in diesem Sport. Denn nur wenn es seinem Trainingspartner gut geht, wird man selbst im Training vorankommen.“ Die Ausbildung mentaler Fähigkeiten offenbart sich auch im zentralen Judomotto „Siegen durch Nachgeben“. Hier ist nicht nur das erlernte judotechnische Geschick gemeint, die Kraft des Gegners umzulenken und zum Sieg zu nutzen, sondern auch die psychische Stärke, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Sehr harmonisch und diszipliniert liefen die 60 Minuten bei den Erst- und Zweitklässlern und 90 Minuten bei den Dritt- und Viertklässlern ab. „Nur mit Disziplin und Respekt gegenüber Trainern und Trainingspartnern kann man derart körperbetont Sport betreiben. Bei aller Euphorie, kämpfen zu dürfen, müssen Regeln eingehalten werden,“, erklärt die Profi-Judoka Viola Wächter, die selbst mit sechs Jahren mit Judo begonnen hat. Die Kinder erhielten zunächst eine Einführung in das richtige Fallen, ehe sie durch Rauf- und Rangelspiele an ihre ersten Judowürfe herangeführt wurden. Nicht selten waren die kleinen Judokas überrascht von ihren Fähigkeiten und zeigten viel Biss, ihren Trainingspartner im Boden auf dem Rücken zu halten, obwohl dieser mit Leibeskräften versuchte, sich zu befreien. „Und genau das Lernen die Kleinen hier auch: Dranbleiben, nicht aufgeben, weitermachen! Wir Trainer sind da, um zu bekräftigen und zu unterstützen! Wir holen jeden da ab, wo er sowohl psychisch als auch physisch steht. Kinder, die sich durchbeißen und mit Fleiß an Aufgabenstellungen arbeiten, werden stark – im körperlichen und v.a. im mentalen Sinne!“, erläutert Herbert Possenriede, der 2014 sein 50-jähriges Trainerjubiläum feierte und Träger des 6. Dans (Meistergrad) in Judo ist. Die Stärkung des Selbstbewusstseins und sozialer Kompetenzen ist ein Effekt, von dem Kinder für ihr Leben profitieren. Als Possenriede gerade deshalb das kleinste Kind einer Klasse zum Vorführen eines Haltegriffes heranzog und dieses es schaffte, den Großmeister am Boden zu halten, jubelte die ganze Klassengemeinschaft und das Kind strahlt über das ganze Gesicht. Auch die Lehrer zeigten sich toujours begeistert vom umgesetzten Lehrplanthema und bekräftigten, einiges in ihrem Sportunterricht aufgreifen zu wollen. Auch Kinder mit ADHS und ähnlichen Auffälligkeiten seien hervorragend mit den Aufgaben zurecht gekommen. Und dass Judo nicht auf dem Pausenhof eingesetzt werden dürfe und lediglich geregelt als Sport stattfinden und nur im Notfall als Selbstverteidigung eingesetzt werden dürfe, das war den Grundschülern am Ende der Projekttage ebenfalls klar vermittelt worden.
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